Religiöse Assoziationen
Unter den zahlreichen heiligen Bergen Tibets nimmt der Kailash eine besondere Stellung ein, da sich seine spirituelle Bedeutung nicht nur auf den tibetischen Kulturraum beschränkt. Der Kailash wird nämlich von Anhängern vier unterschiedlicher Religions- gemeinschaften Asiens - Hindus, Jainas, Buddhisten und Bönpos, den Anhängern der vorbuddhistischen Religion Tibets als heilig betrachtet und ist seit mehr als 1000 Jahren Ziel ihrer Pilgerschaften. |
In Sanskrit, der alten Sprache Indiens, trägt der heilige Berg Tibets den Namen Kailasha, sein tibetischer Name ist Gang Rinpoche ("Kostbarer Schnee[berg]"). Ein andere lokaler Name für den Berg ist Tise, eine Bezeichnung die wohl der Sprache des alten Bön-Reiches Zhang Zhung entstammt.
Fromme Hindus sehen den tibestischen Kailash als Thron des Gottes Shiva, der dort in immer währender Meditation mit seiner Gefährtin Parvati, der Tochter des Himavats, der Verkörperung des Himalaya, verweilt. Die Anhänger Shivas identifizieren das phallische Erscheinungsbild des Kailash mit dem lingam Shivas, dem phallischen Symbol charakteristisch für den Shivaismus. Darüber hinaus wird der Kailash in Tibet auch in den indischen Texten der Puranas, grundlegenden Schriften des Hindusimus, erwähnt. Dort heißt es, dass sich der Sitz Kuberas, der Gottheit des Reichtums, auf oder in der Nähe des Kailashs in Tibet befindet. Auch in den hinduistischen Epen Ramayana und Mahabharata findet der Kailash in Analogie für all das, was von eindrucksvoller Höhe ist, Erwähnung.
Die Anhänger des Jainismus, die Jainas, sehen im Kailash den Berg Ashtapada. Dort soll Rishabha, ihr erster spirituelle Führer geistige Befreiung erlangt haben. Rishaba wird als erster sogenannter Furtbereiter (Tirtankara) gezählt, ein Ehrentitel, der die Funktion als Mittler zwischen der materiellen und spirituellen Welt verdeutlicht. Als eigentlicher und historischer Gründer des Jainismus gilt Mahavira, der 24. Furtbereiter, der im 6./5. Jahrhundert v. Chr. lebte und dessen Biographie der Buddhas ähnelt.
Buddhisten assoziieren den Kailash in Tibet mit einer tantrischen Meditationsgottheit namens Chakrasamvara und seiner Gefährtin Vajravarahi. Auf Tibetisch heißen diese beiden Demchog und Dorje Phamo. Bei Demchog handelt es sich um einen Yidam, d.h. eine persönliche Schutzgottheit. Die Yidams sind nur oberflächlich betrachtet Gottheiten als welche sie auf tibetischen Rollbildern, den Thangkas, und Wandmalereien in Tempeln zu sehen sind. Für den praktizierenden Buddhisten jedoch verkörpern diese Meditationsgottheiten Aspekte der menschlichen Natur, vor allem die zornigen und leidenschaftlichen, welche unter normalen Umständen großes Leid verursachen. Wenn diese Aspekte allerdings durch spirituelle Übung transformiert werden, so können sie wahre Weisheit hervorbringen. Auch soll bereits Buddha persönlich mit einer Gefolgschaft von 500 Arhats den Kailash aufgesucht haben, um zu verhindern, dass Rava, der Herrscher des Dämonenlandes Lanka, den Kailash auf seinen Rücken lud und forttrug. Dieser Herrscher hatte zuvor ein Bildnis Buddhas, welches Buddha persönlich hatte anfertigen lassen, entwendet und wollte diesem Bildnis nun den Kailash als Thron darbringen. Durch das Wirken Buddhas vermochte es Rava nicht den Berg fortzutragen. Bei dieser Auseinandersetzung hinterließ Buddha vier Fußabdrücke in Stein, die noch heute von den Pilgern bei der rituellen Umwandelung des Kailash verehrt werden.
Darüber hinaus wird von den Tibetern der Kailash mit dem tibetischen Yogi und mystischen Poeten Milarepa in Verbindung gebracht. Milarepa lebte von 1052-1135 und steht in der Überlieferungslinie der Kagyü-Schule, einer der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus. Der Legende nach ging Milarepa als Sieger aus einem magischen Zweikampf mit einem Bön-Priester um die Vorherschaft am Kailash hervor.
Die ursprüngliche, vorbuddhistische Religion Tibets, das Bön, wurzelt in den schamanistischen und animistischen Traditionen Zentral- und Nordasiens. Eines ihrer bedeutendstes Zentren war das Königreich Zhang Zhung im Westen Tibets in dessen Zentrum sich der Kailash befand. Entsprechend des alten Bön wird die natürliche Landschaft von unterschiedlichen Gottheiten, Geistern und Dämonen bevölkert. Solche Lokalgottheiten werden oft mit Bergen assoziiert bzw. identifiziert. Auch der Kailash wurde als Sitz bestimmter Gottheiten verehrt. Im 7. Jahrhundert wurde Zhang Zhung dem tibetischen Großreich angeschlossen, wo die Bön-Priester am Königshof als Ritualspezialisten fungierten und es im Folgenden zu Auseinandersetzungen mit den Anhängern des Buddhismus kam. Später entwickelte sich die dem Buddhismus ähnliche Form des Bön, das reformierte Bön, das ab dem 11. Jahrhundert, zur Zeit der zweiten Verbreitungsperiode des Buddhismus in Tibet, systematisiert wurde. Bön und Buddhismus haben sich gegenseitig stark beeinflusst und Elemente adaptiert, sodass heutzutage das reformierte Bön als fünfte Schule des tibetischen Buddhismus gilt.
Die Auseinandersetzung zwischen der alten Bön-Tradition und dem sich neu verbreitenden Buddhismus scheint auf mythische Art und Weise in der Legende von Milarepas magischem Wettstreit mit dem Bön-Priester Naro Bön Chung bewahrt zu sein. Diese Legende besagt, dass Milarepa, als er mit seinen Schülern zum Kailash kam, von den lokalen Gottheiten verehrungsvoll begrüßt wurde. Nicht so freundlich gestaltete sich jedoch der Empfang durch den Bön-Priester Naro Bön Chung. Dieser forderte Milarepa auf, seinen Glauben zu wechseln, falls er hier am Kailash praktizieren wolle, da der Berg im Besitz der Bönpos sei. Nach einigen Diskussionen forderte schließlich der Bön-Priester Milarepa zum magischen Wettstreit heraus. Der Sieger solle fortan als rechtmäßiger Besitzer des heiligen Berges gelten. Die beiden trugen eine Reihe von Wettkämpfen aus, die Milarepa ausnahmslos für sich entschied und deren Spuren unter anderem in Form von Fuß- und Handabdrücken rund um den Kailash von den Pilgern noch heute verwehrt werden. Der Bön-Priester wollte jedoch seine Unterlegenheit nicht eingestehen und forderte Milarepa zu einem letzten und entscheidenden Duell auf: demjenigen sollte der Berg zustehen, der den Gipfel des Kailash als erster erreiche. Milarepa gewann das Wettrennen, indem er den Gipfel auf dem ersten morgendlichen Sonnenstrahl fliegend erreichte, während sein Gegner noch auf seiner Trommel reitend im Aufstieg begriffen war. Der Bönpo war von diesem Anblick so überrascht, dass er von seiner magischen Trommel herabfiel und mit ihr den Berg hinunterstürzte, wobei seine Trommel die noch heute auf der Südflanke zu sehende Längsrinne in den Fels riss. Entsprechend der Bitte des besiegten Bön-Priesters, gewährte Milarepa den Bönpos weiterhin das Recht, den Kailash zu umrunden und wies ihnen ferner einen anderen Berg in Sichtnähe des Kailash als neues Heiligtum zu.
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Der kosmische Berg Meru
Die besondere Stellung des Kailash unter den zahlreichen heiligen Bergen Tibets liegt ferner auch darin begründet, dass er als irdische Verkörperung bzw. Abbild des Weltenberges Meru angesehen wird. Die Vorstellung eines Weltenberges, der alle Seinsbereiche von den Unterwelten bis zu den Bereichen der Gottheiten, in Form einer Weltenachse durchzieht, findet sich in der Mythologie vieler Kulturen; im Besonderen fand dieses Vorstellung ihre detaillierte Ausformung in den Religionen Asiens. Unter diesen steht am Anfang die Kosmologie des Hinduismus, welche Buddhisten und Jainas weitgehend übernahmen, jedoch gemäß ihrer eigenen Lehren abwandelten und weiter ausformten. Allgemein betrachtet steht der Weltenberg im Zentrum eines komplexen multidimensionalen Systems, das sowohl materielle als auch spirituelle Dimensionen umfasst. Entlang der vertikalen Achse des Berges sind streng hierarchisch die unterschiedlichen Bereiche der Gottheiten und Unterwelten angeordnet, wohingegen auf der horizontalen Achse die materielle Dimension unserer Erde in Form einer Scheibe angeordnet ist, die sich vom Fuße des Berges nach außen hin erstreckt und die verschiedenen Kontinente, Inseln und Bergketten beinhaltet. Ferner entspringen vom Weltenberg vier große Flüsse, die in die vier Himmelsrichtungen ausströmen.
Ein Vergleich dieser Vorstellungen des Universums mit den natürlichen Gegebenheiten der Kailashregion lässt verstehen, dass der Kailash im Laufe der Jahrhunderte mit dem Weltenberg identifiziert wurde und als dessen irdisches Abbild Verehrung findet: freistehend ragt der Kailash pyramidenförmig empor und steht im Zentrum des Quellgebiets vier großer Flüsse Südasiens. Im Norden des Kailash entspringt der Indus, im Westen der Sutlej, im Osten der Brahmaputra und im Süden der Karnali. Interessanterweise ist festzustellen, dass die in alten indischen Texten benannten Namen der vier Flüsse, die vom Berg Meru ausströmen, mit den in tibetischen Pilgerführern zu findenden Namen für die vier Flüsse am Kailash bedeutungsgleich sind. Somit scheinen sich hier kosmologische Vorstellungen mit den natürlichen Naturbegebenheiten überlagert zu haben.
Auch in der Kosmologie der Bönpo gibt es solch einen mythischen Weltenberg, die neunstöckige Swastika-Pyramide (Yungdrung Gutse), der sich im Zentrum von Olmo Lungring, dem mythischen Ursprungsland des Bön befindet. Am Fuße dieses kosmischen Berges entspringen ebenfalls vier Flüsse. Ähnlich wie bei den Hindus, Jainas und Buddhisten wurden dieser Berg und die vier von ihm ausströmenden Flüsse mit dem Gebiet des Kailash identifiziert. Auch soll von diesem mythischen Berg Shenrab Miwo, der Begründer der Bön-Religion, mit seinen beiden engsten Schülern vom Himmel herabstiegen sein.
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Die rituelle Umwanderung des Kailash
Das Ziel der Schar von Pilgern, die sich aus weit entfernten Regionen auf die strapaziöse Reise zum Kailash machen, besteht in der rituellen Umrundung des Kailash. Diese Umwanderung wird auf Sanskrit Parikrama und auf Tibetisch Kora genannt. Buddhisten, Hindus und Jainas führen die Umwanderung im Uhrzeigersinn aus, wobei die Anhänger des Bön den heiligen Berg gegen den Uhrzeigersinn umrunden. Die 53km lange Runde wird von zahlreichen Tibetern unter großen Anstrengungen in nur einem Tag bewältigt, wobei der Rest der Pilger die Kora meist in zwei oder drei Tagen vollendet. Einige tief religiöse Tibeter absolvieren die Kora - teilweise bereits sogar die Anreise zum Kailash - in Form von Niederwerfungen, wobei die ganze Wegstrecke mit der eigenen Körperlänge abgemessen wird.
Über den religiösen Verdienst, den sich die Pilger durch die Umrundung ansammeln sagt ein tibetischer Pilgerführer*: "Den großen Palast Tise einmal zu umwandeln, reinigt die Verdunkelungen eines Lebens. Dementsprechend werden zehn Umwandlungen die Verdunkelungen eines Zeitalters beseitigen. Wenn man einhundert Umwandlungen durchgeführt hat, wird man die zehn Kräfte und die acht Qualitäten erlangen und in einer Lebensspanne die Buddhaschaft verwirklichen." Am Kailash gibt es auch noch eine innere Kora, die eine Felspyramide unmittelbar vor der Südwand des Berges umrundet. Dieser innere Pilgerpfad am Sockel des heiligen Berges steht jedoch nur den Pilgern offen, die den Kailash zuvor bereits 13 Mal umrundet haben.
Ausgangspunkt der Kora ist die Ansiedlung Darchen im Süden des Kailash. Von dort aus wandert der Pilger gen Westen, bevor sich der Weg nach Norden wendet und der Kailash zum ersten Mal sichtbar wird. An dieser Stelle befindet sich der erste von vier Prostrationshügeln, wo damals der Mönch Gyalwa Götsang, die besondere Wirkungskraft des Kailash wahrnahm und sich hingebungsvoll niederwarf. Den Berichten zufolge war Gyalwa Götsang ein Pilgermönch der Kagyü-Schule, der auf seiner Rückkehr vom Manasarowar-See Rast im westlichen Kailash-Tal machte. Er schickte sich an Tee zu kochen, doch fand er aufgrund der Heiligkeit dieses Ortes keinen Stein, auf den er seinen Kessel hätte stellen können, der nicht mit einem heiligen Mantra versehen war. Er verließ sein Feuer und machte sich auf die Reise um den Berg, wobei ihn viele Gottheiten in Tiergestalt leiteten.
Die Pilger betreten das westliche Tal, aus dem der "Fluß der Götter", der Lha Chu, hervorkommt. "Nun begehen sie den heiligen Bezirk", wie es Franz Binder** ausdrückt, "in dem jeder Fels, jeder Berg, jede Höhle eine Legende zu erzählen weiß, in dem Fußabdrücke von Buddhas und großen Yogis zu finden sind, Orte, an denen Wunder und Erscheinungen geschahen, Bildreliefs, die an Felsen von selbst entstanden, und Plätze, an denen der Brauch bestimmte Riten vorschreibt. Hier öffnet sich den Hindus das Mandala des Shiva und den Buddhisten das Mandala des Chakrasamvara". Die Pilger durchschreiten den "zweibeinigen Chörten" und umkreisen den sich in der Nähe befindlichen Fahnenmast Darpoche. Jedes Jahr wird am 15. Tag des Monats Saga Dawa, d.h. während dem Vollmond im Monat Mai, an dem Tag als der Buddha sowohl geboren wurde als auch das Erwachen erlangte und in das Nirvana einging, ein neu geschmückter Mast errichtet.
Weiter dem Pfad folgend erblicken die Pilger das Kloster Nyenri oder auch Chöku genannt, das sich am Hang über dem Westufer des Flusses befindet, in dessen Nähe auch die "geheime Elefantenhöhle", eine Wirkungsstätte des Padmasambhava, zu finden ist. Talaufwärts gehend passieren der Pilger unterschiedliche Bergformationen, die alle mit bestimmten Gottheiten und Bodhisattvas assoziiert werden. So gelten zum Beispiel drei Berge am westlichen Ufer des Flusses Lha Chu als Paläste der drei Langlebensgottheiten Tara, Amitayus und Usnishavijaya. Bereits zuvor auf der Höhe der Mahakala-Felsen eröffnet sich den Pilgern der unverstellte Blick auf die Westflanke des Kailash, wo sich auch der zweite Prostrationshügel befindet. Langsam nähern sich die Pilger nun dem nördlichen Tal, in dem sich das Kloster Drirapuk, die "Höhle des Yakkuhhorns", befindet. Dem Mönch Gyalwa Götsang begegnete bei seiner ersten Kailash-Umrundung die Dakini Simhamukha in der Gestalt einer Yakkuh. Er folgte ihr bis zu einer Höhle, in die diese verschwand. An der Stelle an der sie in den Felsen eingegangen war, zeichnete sich der Abdruck ihrer Hörner ab, weshalb dieser Ort Höhle des Yakkuhhorns genannt wird. Sie fungierte als Praxisplatz vieler Yogis und zu späterer Zeit wurde um sie das Kloster errichtet. Das Kloster liegt gegenüber der beeindruckenden Nordwand des Kailash, welche von drei niedrigeren Bergen, die Avalokiteshvara, Vajrapani und Manjushri symbolisieren, flankiert wird.
Von hier beginnt der beschwerliche Aufstieg zum höchsten Punkt der Kora, dem Drölma La, dem "Pass der Tara", auf 5636 Metern. Während dieses Aufstieges durchleben die Pilger symbolisch den Tod und erlangen schließlich auf der Passhöhe die Wiedergeburt. Ein bedeutender Ort auf dem Weg zum Pass ist der Leichenacker Silvatshal. Hier betreten die Pilger das Reich Yamas, dem Herrn der Toten, wo sie den rituellen Tod sterben, welcher durch das symbolische Opfer eines persönlichen Gegenstandes symbolisiert wird. So werden hier zum Beispiel Kleidungsstücke, Haarsträhnen, Zähne oder sogar Tropfen von Blut dargebracht. Manche Pilger legen sich der Länge nach auf den Boden und vergegenwärtigen sich den Prozess des Sterbens.
Weiter bergauf wird eine Art Stätte der Prüfung des eigenen Karmas erreicht. Hier gibt es Felsbrocken durch deren enge Durchgänge sich die Pilger versuchen zu zwängen. Es wird gesagt, dass, ungeachtet der Leibesfülle, es nur diejenigen mit gutem Karma schaffen sich hindurchzuzwängen, alle anderen würden stecken bleiben.
Schließlich erreichen die Pilger den Pass mit dessen Überschreitung ihre symbolische Wiedergeburt erfolgt. Auf dem Pass befindet sich der Fels der Tara, dem die Pilger als erstes ihre Verehrung in mannigfaltiger Art und Weise entgegenbringen: sie umwandeln ihn, drücken die Stirn gegen den Felsen, hängen Gebetsfahnen auf und bringen die verschiedensten Opfergaben dar. Der Sanskritname Tara wird im Tibetischen als Drölma übersetzt, was so viel wie Retterin oder Befreierin bedeutet. Sie ist eine Ausstrahlung des Bodhisattva Avalokitsehvara und entstand aus dessen Tränen, die dieser aus Mitgefühl mit dem Leid aller Wesen vergoss. Es wird erzählt, dass Tara in ihren 21 Erscheinungsformen in Gestalt von Wölfen den Mönch Gyalwa Götsang zum Drölma-Pass geleitete, wo diese einer nach dem anderen zuerst ineinander eingingen, bevor schließlich der letzte in den von den Pilgern verehrten Felsen einging.
Nach einer stärkenden Rast machen sich die Pilger auf den steilen Abstieg. Der Pfad schlängelt sich durch Geröllfelder, die mit großen Steinblöcken übersät sind, vorbei an der Bergformation mit Namen "Axt des Karma" hinab in das östliche Tal, welches mit Grasweiden versehen ist und von Flüssen durchzogen wird. Während die Pilger das Tal durchwandern erlaubt der Kailash ihnen nur einen kurzen Blick auf seine Ostflanke. Diese Stelle wird durch den dritten Prostrationshügel markiert. Gegenüber, auf der Ostseite des Dzongchu-Flusses, befindet sich der Berg des Medizinbuddhas, wo in einem Tal zu dessen Füßen verschiedene Heilpflanzen gedeihen. Auf dem Weg weiter talabwärts gelangen die Pilger zum Kloster Zumtrülphuk, "Höhle der magischen Zurschaustellung", welches um eine Höhle herum erbaut wurde in der Milarepa meditierte. Milarepa erlangte hier einen seiner zahlreichen Siege über den Bönpo-Priester, von deren Zweikampf noch heute die in der Felsenhöhle zurückgelassenen Hand- und Fußabdrücke des Milarepa zeugen.
Bevor sich das Tal in die Ebene von Barkha hin öffnet, wird den Pilgern noch ein beeindruckendes Farbspiel an den "roten und goldenen Klippen" (Draser Dramar) geboten. Hier passiert der Pilgerpfad eine Schlucht mit Felsabbrüchen, die in einer Vielzahl von Farben metallen leuchten. Hiernach erreichen die Pilger den vierten und letzten Prostrationshügel, bevor sich der ergreifende Blick auf die weite Ebene mit Manasarovar See und der gegenüberliegenden Gurla Mandata öffnet und der Pfad nach Westen zurück nach Darchen führt.
Auch wenn der Großteil der Pilger es kaum vermag die philosophischen Konzepte, die mit einer Umrundung des Kailash verbunden sind nachzuvollziehen und die tiefe spirituelle Bedeutung der von ihnen ausgeführten rituellen Handlungen zu begreifen, so haben doch auch sie teil, wie es Franz Binder*** formuliert, "an der transzendenten Energie, die sich am heiligen Berg konzentriert, und erfahren die geistige Reinigung und Verwandlung, die eine solche Pilgerschaft mit sich bringt."
* Bruno Baumann (2005: 16)
** Franz Binder (2006: 167)
*** Franz Binder (2006: 152)
Aussprache von Wörtern aus dem Sanskrit und Tibetischen
ch wird ausgesprochen wie: tsch
j wird ausgesprochen wie: dsch
y wird ausgesprochen wie: j
v wird ausgesprochen wie: w
sh wird ausgesprochen wie: sch
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Baumann, Bruno (2005)
Kristallspiegel: Pilgerreise zum heiligen Berg Kailash. Aus dem Tibetischen von Jürgen Manshardt und Dr. Andrea Loseries-Leick. Textauswahl, Kommentar und Fotos: Bruno Baumannn. München: Nymphenburger.
Binder, Franz (2006) Kailash: Reise zum Berg der Götter. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Johnson, Russel und Kerry Morgan (2001) Kailash: Der heilige Berg Tibets. München: Bruckmann Verlag.
Snelling, John (1990) The Sacred Mountain: Travellers and Pilgrims at Mount Kailash in Western Tibet and The Great Universal Symbol of the Sacred Mountain. Revised and Enlarged Edition including: Kailas-Manasarovar Traveller's Guide. London and The Hague: East-West Publications.
Wöllmer, Wolfgang (2014) The Inner and Outer Paths of Mt. Kailash: Pilgrimage to the Abode of Chakrasamvara. Vajra Books.